Eine Kindheit in der deutschen Nachkriegsgesellschaft erzählt Volker Reiche in seiner Graphic Novel „Kiesgrubennnacht“: 4 Brüder und eine kleine Schwester Christel, die begeistert alle aufgeschnappten Wörter nachplappert, ob es sich nun um „Zwergenbuch“, „Kohlen“ oder „Dürer“ handelt.
Eine Kindheit, in der alle sich über Zwieback und Marmeladenbrot bei der Geburtstagsfeier freuen, wenn es mit dem Geburtstagskuchen mal wieder nicht geklappt hat. Eine Kindheit, bei der alle fünf mit ansehen müssen, wie die Mutter vom Vater geschlagen wird. Im Chor „Wäääh“ zu brüllen, ist lange Zeit das einzige, was die Kinder aus Solidarität mit ihrer Mutter machen können. Als es zur Scheidung kommt, ist das für alle eine Erlösung.
Allerdings hält die Mutter sich nun oft mit Eierlikör, Chantré und Rotwein in Literflaschen bei Laune, was die Kinder lange Zeit nicht durchschauen. Erst als sie Weihnachten 1957 ihren Kindern die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel auffallend undeutlich vorlallt, bemerkt der inzwischen dreizehnjährige Sohn: „Häuptling Schwere Zunge liest die Weihnachtsgeschichte“.
Als Kind fehlen einem überhaupt die richtigen Fragen, und so beschließt der erwachsene Sohn 1973, seinen Vater noch einmal aufzusuchen und nach seinen Erlebnissen als Kriegsberichterstatter an der Ostfront zu fragen, die er in Andeutungen und obskuren Witzen in seiner Kindheit mitbekommen hat. Dieses Unterfangen ist schwierig, zäh und letztendlich nicht besonders erfolgreich. Bei einer Kiesgrube sei es wohl gewesen, aber viel könne er nicht sagen, weil er ja erst später dazu gestoßen sei. Und an seine früher oft vor den Kindern wiederholte Erzählung, dass man ihm eine Pistole hingehalten habe mit den Worten „auch mal?“, will sich der Vater nun nicht mehr so wirklich erinnern…
„Kiesgrubennnacht“ wurde mit dem Preis „Bester deutscher Comic 2013“ ausgezeichnet.
Kiesgrubennnacht, Volker Reiche, Suhrkamp, Graphic Novel, 21,99 €
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Für Graphic Novel-Leser, die gerne in Mythen und Märchen schwelgen, ist „Die Enzyklopädie der Frühen Erde“ ein passendes Weihnachtsgeschenk. Die Geschichte greift unter anderem Topoi aus Indianermärchen und biblischen Geschichten auf und mischt eine sehr eigene Entstehungsgeschichte der Frühen Erde daraus. Auch viele der Illustrationen erinnern an indianische Kunst.
Die Enzyklopädie der Frühen Erde, Graphic Novel von Isabel Greenberg, gebundene Ausgabe, Insel Verlag, 28 €
Als Suhrkamp-Taschenbuch 16,99 €
Das Thema Depressionen einmal als Graphic Novel zum tiefsinnigen Schmunzeln auf den Punkt gebracht hat Ellen Forney, die weiß, wovon sie schreibt und zeichnet. Schon der Auszug hinten auf dem Buchcover zeigt ein typische Szene, aus dem bipolaren Leben gegriffen: Ein depressiver Mensch schält sich schwermütig aus dem Bett, bewegt sich – mit Bettdecke über den Schultern – ins angrenzende Zimmer und liegt dort am Ende seiner Bemühungen mit derselben Bettdecke auf dem Sofa.
Meine Tassen im Schrank – Depressionen, Michelangelo & ich, Graphic Novel von Ellen Forney, Egmont Verlag, 19,99 €
Ordnung, Perfektion und ein geregeltes Berufsleben kennzeichnen den Alltag von Stephen Collins Protagonisten Dave, der dort im Büro auch schon mal wie Franz Kafka mit hängendem Kopf über der Tischplatte sinniert. Was er dort in der Firma eigentlich macht, ist nicht nur ihm ein Rätsel. Eines Tages bricht ein zuerst einsames Barthaar Daves aus dieser Ordung aus und lässt sich nicht mehr bremsen…
Der gigantische Bart, der böse war, Graphic Novel von Stephen Collins, Atrium Verlag, 29,99 €